„Kapital einer alternden Wissensgesellschaft“

„Kirche trifft Bildung“ zu Gast in der IGS Langenhagen

Auf dem Podium diskutierten unter anderem (von links) Kirchenkreisjugendpastorin Reni Kruckemeyer-Zettel, Professor Wolfgang Schröer und Maren Konradt von der Evangelischen Jugend. Fotos: A. Hesse
Auf dem Podium diskutierten unter anderem (von links) Kirchenkreisjugendpastorin Reni Kruckemeyer-Zettel, Professor Wolfgang Schröer und Maren Konradt von der Evangelischen Jugend. Fotos: A. Hesse

Wolfgang Schröer begann mit der guten Nachricht: „Jugend ist wieder in – das Interesse an der Jugend ist wieder da.“ Ganz anders sei das in den ersten zehn Jahren dieses Jahrhunderts gewesen, so der Professor für Sozialpädagogik weiter; in dieser Zeit hätten ausschließlich Kinder im Fokus des öffentlichen Interesses gestanden, während sich niemand wirklich für Lebenssituation und Bedürfnisse Jugendlicher interessiert habe. Trotz der veränderten Interessenlage gibt es für junge Menschen allerdings keinen Grund zum Jubeln: „Wir sehen Jugend heute als Kapital einer alternden Wissensgesellschaft“, stellte der Professor aus Hildesheim fest – und das habe böse Folgen.

Rund 90 interessierte Zuhörer – ganz junge ebenso wie ältere – folgten dem Vortrag Schröers, den er im Rahmen der Veranstaltung „Kirche trifft Bildung“ in der Aula der IGS Langenhagen hielt. Eingeladen hatte der Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kirche trifft …“, als Gastgeberin vor Ort bot die IGS einen wunderbaren Rahmen. Schulleiter Wolfgang Kuschel wies in seinen Begrüßungsworten auf den traditionell großen Abstand der Integrierten Gesamtschulen zu den Kirchen hin und betonte gleichzeitig, dass seit Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts eine Annäherung gelungen sei. Heute unterrichten zehn Religionslehrer in der Sekundarstufe I der Schule in allen Jahrgängen das Fach „Kooperativer religionsübergreifender Unterricht“; besonders wichtig ist der Schule dabei, dass im Klassenverband unterrichtet wird – eine Aufteilung in konfessionsgebundene Gruppen liefe dem integrativen Konzept der IGS zuwider.

Jugendarbeit, aufbauend auf der Frage „Was ist eigentlich Jugend?“, habe Ende des 19. Jahrhunderts in evangelischen Großstadtgemeinden ihren Anfang genommen, berichtete Wolfgang Schröer. Damals habe man die Erfahrung gemacht, dass sich junge Menschen eigenständig eine Experimentier- oder auch Auszeit nehmen; in der Forschung wird diese Zeit als Jugendmoratorium bezeichnet. Evangelische Gemeinden waren die ersten, die Jugendliche darin unterstützten, indem sie ihnen eigene Räume neben denen von Schule und Arbeitswelt boten – das „Clubbing“ war geboren. Seit etwa zehn Jahren, so Wolfgang Schröer, sei die gegenteilige Entwicklung zu beobachten: „Der Begriff des Jugendmoratoriums ist aus dem Vokabular der Jugendpolitik verschwunden, stattdessen ist eine Verdichtung und Intensivierung des jugendlichen Alltagslebens zu beobachten. Es findet eine Entgrenzung von Bildung, Arbeit und Freizeit im Jugendalter statt.“ Heute werde schon von 13- oder 15-Jährigen unternehmerisches Denken erwartet – mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft. „20 Prozent der Jugendlichen sagen über sich selbst ‚Diese Gesellschaft hängt uns ab‘“, berichtete Wolfgang Schröer aus seiner Forschungstätigkeit; Jugendarmut werde forciert, das biographische Recht auf Jugend dagegen zunehmend privatisiert. Nur wer es sich finanziell leisten kann und familiären Rückhalt findet, kann heute noch „Jugend“ erleben und sich eine Experimentierzeit nehmen.

Mehrere moderierte Murmelgruppen im Anschluss an den Impulsvortrag gingen anschließend der Frage nach, was junge Menschen für ihr Leben stärkt; in knappen Statements wurden die Ergebnisse dann dem Plenum vorgetragen: „Nichts tun ist auch mal in Ordnung.“ „Es braucht Zeit und Raum.“ „Hinschauen und machen lassen.“ „Freiraum schaffen und gleichzeitig Angebote machen.“ „Konflikte aushalten.“ „Wertschätzung ist unabhängig von Leistung, und sie ist Voraussetzung für Leistung.“ „Mut machen, Entscheidungen zu treffen und Akzeptanz für Umorientierung vor dem Hintergrund einer faszinierenden Bandbreite.“

Eltern müssten ihre Kinder in genau den Dingen unterstützen, die diese von sich aus tun wollten, forderte eine Schülerin der IGS, die sich engagiert in die Diskussion einbrachte. „Das können wir als Erwachsene nicht“, antwortete Wolfgang Schröer. Zu groß sei die Angst der jetzigen Erwachsenengeneration, dass die Grundlage der Wissensgesellschaft verloren gehe, wenn Jugendliche nicht immer früher für diese Gesellschaft konditioniert würden. „Die einzige Chance ist, dass wir uns ernsthaft um echte Wahrnehmung junger Menschen bemühen und der Jugend als solcher wieder einen Stellenwert zukommen lassen“, ist der Hildesheimer Professor überzeugt – auch die Statements der Murmelgruppen sagen genau dies aus.

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